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Die Stimme transportiert Emotionen am besten

Weniger ist mehr beim Dechiffrieren von Gefühlen

 

 

Die weitverbreitete Meinung, dass sich Gefühle aller Art am besten an der Mimik ablesen lassen, stimmt nur bedingt: in einer neuen Experimenten-Reihe der Yale University wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass bei voller Konzentration rein auf die Stimme – „voice-only communication“ – viel besser Emotionen dechriffriert werden können, als wenn man die betreffende Person auch sieht.

In insgesamt 5 Experimenten wurden Probanden zwischen ein- und fünfminütige emotional aufgeladene Dialoge in unterschiedlichen Settings gezeigt: live bei Licht, live in einem völlig abgedunkelten Raum, über ein Video, über ein Video ohne Ton und über ein Video ohne Bild, nur mit Ton. Anschließend mussten die Probanden angeben, welche Emotionen sie bei welchem der beiden Dialog-PartnerInnen wahrgenommen haben und diese Ergebnisse wurden dann mit den Angaben der Dialog-PartnerInnen selbst vergleichen. Je höher die Übereinstimmung, desto präziser offensichtlich die empathische Leistung der Probanden, und die war am besten dort, wo nur die Stimmen der Dialog-PartnerInnen zu hören waren. Tonhöhe, Intonation, Sprachgeschwindigkeit, Lautstärke und die Inhalte waren signifikant bessere Indikatoren für die zum Ausdruck gebrachten Emotionen als Mimik, Gestik oder sonstige optisch wahrnehmbaren Faktoren: Sah man die Dialog-PartnerInnen (und hörte man sie nicht nur), wurden Inhalte um 30% weniger wahrgenommen, stimmliche Hinweise auf verschiedene Emotionen sogar um 40% weniger.

„Weniger ist mehr“ argumentiert daher auch der Studienautor, wenn es darum geht, exakt zu erfassen, in welchem Gefühlszustand sich jemand befindet. Sich auf die Stimme allein zu verlassen, reicht in diesem Zusammenhang völlig – zusätzliche, sichtbare Informationsquellen wie Mimik und Gestik hingegen verkomplizieren den ohnehin bereits hochkomplexen, kognitiven Wahrnehmungsprozess.

Voice-Only Communication Enhances Empathic Accuracy, Michael Kraus, American Psychologist, 2017, Vol. 72, Nr. 7, 644-654

Aus der Praxis

Faszinierend: auch wenn die Präsentationscharts perfekt illustrieren, das Outfit passt und das Thema als solches talk of the town ist – wenn die Stimme dazu brüchig, klein, monoton, gehetzt oder gequetscht daherkommt, ist die Performance nicht souverän. Insofern ist die Macht der Stimme tatsächlich elementar, und ich kann nicht oft genug darauf hinweisen, wie wirkungsvoll es ist, gerade an den entscheidenden Stellen eines Auftritts, Meetings oder Einzelgesprächs Kraft, Gelassenheit oder Leidenschaft über die Stimme zu transportieren.

Gleichzeitig erinnere ich mich an unzählige Telefonate, in denen nicht nur ich zwecks besserer Konzentration die Augen schliesse, um mich voll und ganz der Akustik hinzugeben und so – ohne Ablenkung irgendwelcher visuellen Reize – jede Nuance des Ausdrucks über die Stimme meines/r Gesprächspartners/In wahrzunehmen. Ja, das funktioniert.

Umsomehr frage ich mich: was bedeuten diese Studienergebnisse aber für die Mehrheit der Besprechungen, wo geschlossene Augen ein No go sind? Wo ich durch den Raum, mich selbst oder andere TeilnehmerInnen visuell so abgelenkt bin, dass ich mich gar nicht 100% rein auf die Stimme meines Vis-a-vis konzentrieren kann? Sind nicht hier Mimik und Gestik wieder hilfreiche Zusatz-Informationen, ohne die mir die emotionale Befindlichkeit von ReferentInnen oder GesprächspartnerInnen weitgehend verschlossen bliebe?

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