Ehrlichkeit des politischen Gegners ist moralischer Ansporn
Fehlverhalten in der eigenen Gruppe fördert hingegen NachahmerInnen
Ob wir uns mehr oder weniger moralisch verhalten, wird durch „die eigenen Leute“ (in-group) genauso wie durch „die anderen“ (out-group) beeinflußt. Das aber völlig unterschiedlich.
KollegInnen prägen uns diesbezüglich vor allem negativ. Beobachten wir Fehlverhalten bei jenen, „zu denen wir gehören“, werfen wir leichtfertiger als sonst Ethik und Anstand über Bord. Warum? Wir fühlen uns einerseits vor allfälligen Konsequenzen durch die Gruppe geschützt und/oder wollen andererseits durch gleichartiges Verhalten Verbundenheit zeigen. Unsere KonkurrentInnen hingegen sind viel eher moralischer Ansporn für uns. Besonders motivierend ist zB besondere Ehrlichkeit bei VertreterInnen des politischen Gegners oder einer rivalisierenden Abteilung. Wer möchte sich schließlich nachsagen lassen, er/sie wäre weniger aufrichtig als „die anderen“?
Zu diesen Schlüssen kommt ein Forscherteam der Ivy League-Unis Brown und Harvard in einer jüngst veröffentlichten Studie. Bemerkenswert auch aus Sicht der WissenschaftlerInnen: Ansporn hin, Ansporn her – wer von „den anderen“ vorher bereits negativ gedacht hat, ändert seine/ihre Meinung über sie auch nachher nicht.
„Following your group or your morals? The in-group promotes immoral behavior while the out-group buffers against ist”, Vives/Cikara/FeldmanHall, in Social Psychology and Personality Science, OnlineFirst, March 19th, 2021
Aus der Praxis:
Die Studie bestätigt letztlich die Doppelmoral, die wir leider so oft in kompetitivem Umfeld, vor allem in der Politik erleben: Großzügig zu sein gegenüber Verfehlungen des eigenen Teams und unnachgiebig zu sein bei genau denselben oder sogar geringeren Mängeln beim Vis-a-vis. Nicht von ungefähr stehen auch deshalb PolitikerInnen regelmäßig an letzter Stelle bei Rankings, in denen die Glaubwürdigkeit unterschiedlicher Berufe evaluiert wird.
Seit 22 Jahren frage ich mich, wieso so viele FunktionärInnen mehr Risken als Chancen darin sehen, sich vom Fehlverhalten „eigener“ Leute zu distanzieren. Wo ist das Problem, mehr Korrektheit nicht nur für die anderen, sondern auch für sich selbst einzufordern? Weshalb interpretieren so viele „Solidarität“ als Soldarität an ihrer Partei und nicht am Staat mit seinen BürgerInnen?
Auch wir Coaches und BeraterInnen sind aufgefordert, uns hier noch mehr zu engagieren: Durch Mutmachen, klare Haltungen reflektieren und trainieren, was das alles kommunikationstechnisch bedeutete. Immerhin gibt kaum ein/e KlientIn nicht unter vier Augen zu, dass diese Doppelmoral aufhören müsse – indes nur wenige stehen bislang sichtbar dagegen auf.