Leidenschaft im Job wird oft ausgenutzt
Neue Form der Ausbeutung identifiziert
Den eigenen Beruf zu lieben und mit Leidenschaft dafür zu brennen, was man tut, hat nicht nur Vorteile: Man wird, wenn man nicht aufpasst, früher als später ausgenutzt – von Vorgesetzten, von Geschäftspartnern, von KollegInnen. „Du machst es doch eh gern“ ist dabei oft die Erklärung dafür, zu nichts oder wenig zu zahlen, Leute mit Arbeit zuzuschütten oder ihnen Aufgaben zuzuordnen, die gar nicht die ihren sind.
Das ergab eine neue Studie der Oklahoma University in Zusammenarbeit mit der Duke/SC. In einem über fünf Jahre geführten Projekt mit mehr als 2.400 TeilnehmerInnen wurde in acht verschiedenen Szenarien eine neue Form moderner Ausbeutung identifiziert: Das gezielte Ausnutzen von Menschen, die mit besonderer Freude und besonderem Engagement ihren Lebensunterhalt verdienen, weil gerade hier besonders wenig Widerstand zu erwarten ist: 1. Derart hochmotivierte MitarbeiterInnen oder Selbständige sind tatsächlich gehemmt, Nein zu sagen, wenn sie schlecht bezahlt mehr tun sollen als vereinbart und 2. Das Umfeld sieht eine derartige Ausbeutung nicht als solche, sondern als legitim.
Die ForscherInnen abschließend: „Wir sind nicht gegen Leidenschaft im Job, aber wer mehr bringt, als er/sie bekommt, sollte es aus eigenem tun und nicht vom System dazu getrieben werden.“
Understanding contemporary forms of exploitation: Attributions of passion serve to legitimize poor treatment of workers“, Kim/Campbell/Shepherd/Kay, In: Journal of Personality and Social Psychology“, 118(1), 121-148, 2020.
Aus der Praxis:
Jahrzehntelang haben die mehrheitlich US-amerikanischen Leadership-Theorien ein Gebot gepredigt: wer mit Leidenschaft seinen Beruf ausübt, ist erfolgreicher. Frei nach dem Motto: was man gern tut, tut man immer besser.
So gesehen ist die aktuelle Studie ein wichtiger Kontrapunkt, der längst nötig war. Denn manchmal habe ich mich schon gefragt, ob das fast sektenartige Mantra etlicher internationaler Konzerne „Jede/r bei uns muss Spass im Job haben“ nicht eine verdeckte Strategie ist, um MitarbeiterInnen leichter ausnutzen zu können. Meiner Beobachtung nach kommt diese neue Form von Ausbeutung aber in den unterschiedlichsten Bereichen vor, besonders oft bei Start ups, in der Kunst und bei uns Selbständigen.
Es ist wichtig für jene unter uns, die Arbeit geben und Aufträge erteilen, immer wieder zu reflektieren, ob wir nicht zu rasch Leute übervorteilen, von denen wir eben wissen, sie tun es gern. Und es ist wichtig für jene unter uns, die freudvoll ins Büro gehen und sich schwer tun, sich abzugrenzen, von Beginn an nach einer angemessenen Abgeltung zu fragen und eine fairen Workload zu verhandeln.
Nicht falsch verstehen: Ich liebe meinen Beruf und empfehle auch allen KlientInnen, unbedingt nach der Quelle der Leidenschaft im Job zu suchen. Aber ich bin strikt gegen zuviel Beruf – bietet doch das Leben so unglaublich viele andere wunderbare Möglichkeiten.