Wir halten die Wahrheit aus!
Angst vor negativen Konsequenzen unnötig
Wir können viel besser mit Wahrheit und Klarheit umgehen als die meisten von uns denken. Wer bislang geglaubt hat, ein direkter Kommunikationsstil macht unweigerlich unbeliebt, liegt eindeutig falsch. Im Gegenteil: Drei Experimenten zufolge, die im Zuge einer gemeinsamen Studie der Chicago Booth und der Pittsburgher Tepper School of Business durchgeführt wurden, kann ehrliche Kommunikation die Beziehungsqualität zwischen Gesprächspartnern sogar steigern. Die Testpersonen gaben sogar an, mittelfristig mehr Sinn im Leben zu erkennen, wenn sie häufiger mit der Wahrheit als mit geschönten oder verklausulierten Tatsachen konfrontiert worden waren.
Unter welchen Umständen welcher Einsatz von Offenheit und Ehrlichkeit zu welchen genauen Konsequenzen und Reaktionen führt, müsste man zwar noch präziser erforschen, konzidieren die beiden US-Forscherinnen der vorliegenden Studie. Sie leiten aber jetzt schon aus ihren Resultaten eindeutig ab und richten eine Botschaft an die Management-Welt: a) Führungskräfte bräuchten grundsätzlich viel weniger Sorge vor sogenannten schmerzhaften Wahrheiten zu haben, und b) vor allem im Konfliktmanagement kann ehrliche Kommunikation unangenehme Negativ-Spiralen verhindern bzw. zur Deeskalation beitragen.
You can handle the truth. Mispredicting the consequences of honest communication. Levine/Cohen. In: 2018. Journal of Experimental Psychology: General, 147(9), 1400-1429.
Aus der Praxis:
Sind wir uns ehrlich: die schöngefärbten Floskeln, die ausweichenden Phrasen oder die Lügen aus Höflichkeit mögen gutgemeint sein – sie bringen aber selten weiter, weder das Thema noch die involvierten Personen, weder beruflich noch privat. Und manches kann man schon gar nicht mehr hören.
Zu 100% einverstanden. Aber: je wahrer, je ehrlicher, je ungeschminkter wir kommunizieren wollen, desto besser vorbereitet, desto feinfühliger sollten wir auch sein. Da kommt es aus meiner Sicht vor allem auf die richtige Wortwahl und ein gutes Timing an.
Wahrheit und Wertschätzung schließen einander nicht aus! Es funktioniert sogar öfter als wir alle glauben. „Verzeihen Sie mir. Darf ich ehrlich sein?“ oder „Ich möchte und muss heute ehrlich zu Ihnen sein.“ sind z.B. rhetorische Präambeln, die sehr gekonnt Ihren Klartext ankündigen. Ihre GesprächspartnerInnen oder ZuhörerInnen sind nun emotional eingestimmt und nehmen, was immer Sie jetzt verkünden, besser auf. So können Sie persönliches Feedback an MitarbeiterInnen ruhig und auf Augenhöhe rüberbringen, ohne Frustrationen auszulösen. So können Sie die Wahrheit über die ernste Situation des Unternehmens oder der Partei mit fester Stimme und ohne Umschweife adressieren, ohne Panik oder Auflösungstendenzen auszulösen.
Im Zweifel trainieren Sie bitte vorher, wenn Sie vorhaben, heute Tacheles zu reden. Es ist immer eine Gratwanderung – aber es lohnt sich!