Trumps “100% Loyalität” ist ein Dilemma
Wer Fehlverhalten auch im nahen Umfeld aufzeigt, beweist Moral und Leadership
Loyalität ist privat wie beruflich eine hohe Tugend. Sie kippt allerdings ins Negative, wenn die eigenen Freunde oder Bekannte, KollegInnen oder Vorgesetzte sich moralisch falsch verhalten, und man nichts unternimmt. Wer derartiges Fehlverhalten im nahen Umfeld aufzeigt, mag zwar vordergründig illoyal rüberkommen, beweist aber Moral und Leadership. Einzige Ausnahme: wenn der Aufzeigende zur besagten Person schon davor ein gestörtes Verhältnis hat oder ein besonderes Eigeninteresse hinter der Verpetzung steht. Das zeigt eine brandneue breitangelegte US-amerikanische Studie, die soeben veröffentlicht wurde. Die ForscherInnen weisen darauf hin, dass gerade Whistle Blower sich aber manchmal entscheiden müssten, ob sie als gute Freunde oder als moralisch wertvoll gesehen werden wollen. In diesem Zusammenhang erzeugt Donald Trumps Forderung nach 100%ige Loyalität bei seinen zukünftigen Regierungsmitgliedern ein Dilemma und einen düsteren Blick in die Zukunft.
Berry/Silver/Shaw, “Moral Paragons, but Crummy Friends: The Case of Snitching”, in: Journal of Experimental Psychology: Applied, 30(3), 442–464.
Aus der Praxis:
Ich stehe zu 100% hinter den Erkenntnissen der Studie: dass es völlig falsch verstandene Loyalität bzw. Solidarität ist, jemand Nahestehenden, der/die sich eklatant falsch verhält, zu decken, die Situation schönzureden bzw. keine Konsequenzen daraus zu ziehen. Vor allem dort, wo es um Glaubwürdigkeit geht, Steuergelder in Gefahr sind, die Gesundheit bedroht wird und die ganze Sache strafrechtlich relevant ist. Loyalität bzw. Solidarität muss immer dem größeren Ganzen dienen: dem Staat, der Bevölkerung, der Organisation, den KundInnen, den Mitgliedern etc.
Aber: meiner Meinung nach sollten wir FreundInnen, Bekannte, KollegInnen oder Vorgesetzte als erstes nicht an den Pranger stellen, sondern das Gespräch mit ihnen suchen und sie zu einer sofortigen, eigenständigen Reaktion -Wiedergutmachung oder Rücktritt – motivieren. Diesen Vorteil sollen sie kraft unserer Beziehung zu ihnen haben. Mehr allerdings nicht.