Hohe Moral macht kompromisslos
Liberale bei politischen Verhandlungen großzügiger als Konservative
Kommt die Moral ins Spiel, dann werden politische Themen grundsätzlich aggressiver und weniger kompromissbereit verhandelt – und das unabhängig davon, ob die VerhandlerInnen Extrempositionen einnehmen oder zu den Gemäßigten zählen. Wobei die Moral auch kein ideologisches Mascherl trägt: weder das linke noch das rechte politische Spektrum haben sie allein gepachtet, liberale WählerInnen sind aber tendenziell großzügiger in ihren Verhandlungsangeboten als Konservative. Dieses Ergebnis erschließt sich aus drei zusammenhängenden neuen US-Studien, die bisherige Erkenntnsse aus der Verhaltensökonomie wie aus der Moralpsychologie erstmals zusammenführen. Die Forscher halten außerdem fest, dass vor diesem Hintergrund hohe Moral paradoxerweise das Kernprinzip repräsentativer Demokratie – das Aushandeln unterschiedlicher politischer Forderungen miteinander – behindern kann.
Moral obstinacy in Political Negotiations, Delton/DeScioli/Ryan, In: Political Psychology, July 28th, 2019.
Aus der Praxis:
Pragmatismus versus Moral und Ethik? Nein. Ich glaube, jede/r von uns braucht beides. Denn verzichteten Menschen mit hohen moralischen und ethischen Ansprüchen völlig auf Kompromisse und bestünden hartnäckig auf ihren Standpunkten, dann wären sie rasch isoliert und brächten ihre Ziele dabei in keinem Punkt weiter. Wir sehen das gerade beim britischen Brexit-Chaos besonders gut. In den Coachings erarbeite ich mit meinen Klienten aus der Politik, wo für jede und jeden die individuelle Grenzlinie zwischen Kompromiss und Selbstverleugnung liegt. Das ist nicht immer einfach, und da gibt es auch nie eine allgemeine Lösung. Eins ist aus meiner Sicht aber klar: wenn Sie schon einen Kompromiss eingehen müssen, dann kommunizieren Sie Ihren Deal transparent und sagen Sie, warum er nötig war. Das ist auf jeden Fall glaubwürdiger als die Hintergründe totzuschweigen und ab sofort so zu tun, als ob Ihre bisherigen Werte nicht mehr gelten.